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Frohes Menschwerden

Ein Beitrag vom Kapuziner Adrian Holderegger, emeritierter Professor für Ethik der Universität Freiburg im "Sonntag" Nr. 51-52/2024: Die Schöpfung - grösser als menschliches Denken. Jenseits der gesellschaftlichen und kirchlichen Moral haben die Humanwissenschaften in Biologie, Medizin und Psychologie in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Sexual- und Geschlechterforschung neue Ergebnisse zutage gefördert. Sie verändern, erweitern und korrigieren in manchem unsere Sicht auf die Sexualität.

Als untrüglicher Garant für die Feststellung des Geschlechts galt bis anhin die Biologie, welche mit den Kategorien männlich oder weiblich die Lebenswelt des Geschlechtlichen eindeutig zu definieren schien. Doch gerade die Biologie zeigt in neueren Forschungen eindrücklich, dass es eine Vielfalt von geschlechtlichen Erscheinungsformen gibt. Die menschliche Natur kennt fliessende Übergänge zwischen diesen beiden geschlechtlichen Ausdrucksformen von männlich und weiblich. Nicht nur dies, das Geschlecht selbst ist keine von Anfang an gegebene, unveränderliche Grösse, sondern unterliegt ein Leben lang einem dynamischen Prozess von Veränderung und Entwicklung. So ist beispielsweise bekannt, dass sich die Geschlechtsorientierung von Männern wie Frauen im Laufe ihres Lebens von einer hetero- zu einer homosexuellen Orientierung und umgekehrt wandeln kann. Das Faktum der Geschlechtervielfalt hat weitgehend damit zu tun, dass das biologische Geschlecht durch unterschiedliche Faktoren bestimmt wird, die untereinander interagieren und zu einer starken individuellen Prägung der sexuellen Orientierung führen.
Lange Zeit glaubte man, dass bei der Geburt aufgrund anatomischer Merkmale das Geschlecht eindeutig festgelegt werden könnte. Dabei sind die äusseren Geschlechtsmerkmale (Penis, Vagina) nur ein bestimmender Faktor. Die biologischgenetische Geschlechtsidentität eines Menschen wird zunächst bestimmt durch den Chromosomensatz (xx steht für weiblich, xy für männlich). Sie kann aber nicht darauf reduziert werden, denn die Keimdrüsen (Hoden, Eierstock) wie auch der Hormonhaushalt mit seiner individuellen Konzentration der Geschlechtshormone (Testosteron, Östrogen) wirken auf das Geschlecht ebenfalls sehr bestimmend ein. Man spricht daher auch von einem «hormonellen Geschlecht», das vom biologischen Geschlecht durchaus abweichen kann. Und dieses Geschlecht ist im Gegensatz zum biologisch-genetischen Geschlecht nicht binär (strikt  männlich, strikt weiblich) angelegt, sondern bewegt sich auf einer gleitenden Skala. Schon allein die biologische Geschlechtsidentität ist das Ergebnis eines hochkomplexen Zusammenspiels dieser Aspekte. Dies ist im Übrigen einer der Gründe, warum heute nicht mehr von einem bei der Geburt festgestellten Geschlecht gesprochen wird, sondern von einem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. ...

Der Vollständige Artikel der Zeitschrift "Sonntag" ist als PDF verlinkt.

Dann ist noch ein zweiter Artikel zum selben Thema vom Kapuziner Adrian Holdereger verlinkt. Dieser wurde in der Schweizer Kirchenzeitung SKZ 23/2024 publiziert:

Geschlechtervielfalt – eine verdrängte Realität
Die Human- und Sozialwissenschaften haben Forschungsergebnisse zutage gefördert, die den Blick auf die Binarität der Geschlechter verändert hat. Daraus ergeben sich Anfragen an Theologie und Kirche. ...