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Indien 2: Die geniale Kunst des Improvisierens

Das Kapuzinerkloster Wesemlin in Luzern bietet diesen Herbst eine Indien-Reise an - der Guardian Bruder George stammt selber aus Indien. In loser Folge werden hier Erfahrungen und Erkenntnisse dieser Gruppenreise publiziert:

Die Ebene Rajasthans gleicht einem flirrenden Teppich unter der Mittagssonne, als unsere Reisegruppe von Fatehpur Sikri in Richtung Jaipur unterwegs ist. Plötzlich teilt sich der Asphalt: Ein Gefährt, wie ich es noch nie gesehen habe, tuckert vorüber. Es ist eine Symphonie aus Schrott und Erfindungsreichtum, angetrieben vom Motor einer alten Wasserpumpe. Auf dem Pritschenaufbau thront, statt eines Sitzes, ein einfacher Holzstuhl – der Fahrer wirkt dabei völlig unbeeindruckt. Dies ist Jugaad, wie unser Guide erklärt, ein Begriff, der weit mehr bedeutet als nur «Flickwerk» oder «Improvisation».

Es verkörpert eine ganze Lebensphilosophie, die in Indien tief verwurzelt ist: Die Kunst, mit minimalen Mitteln und maximaler Kreativität eine pragmatische Lösung für ein Alltagsproblem zu finden. Wir nähern uns dem Dorf Sikandar, der eigentlichen Werkstatt dieser Wunderwerke. Hier, abseits jeder akademischen Lehre, formen lokale Ingenieure ohne Diplom aus dem, was da ist, funktionierende Vehikel. Es ist ein lebendiges Ökosystem der Wiederverwertung, wo jeder Rostfleck eine Geschichte erzählt.

Diese Fahrzeuge existieren ausserhalb unserer regulierten Welt; sie haben weder Papiere noch Versicherung. Doch ihr Wert misst sich nicht in Formularen, sondern in ihrer schieren Notwendigkeit. Sie sind die Lebensader für kleine Bauern, ein kostengünstiges Transportmittel in einer Ökonomie, die oft von der Hand in den Mund lebt. Die Beobachtung aus dem Busfenster heraus wirkt wie ein Blick in eine parallele Realität, in der nicht Perfektion, sondern Anpassungsfähigkeit zählt.

Die Fähigkeit, Widrigkeiten nicht als Hindernis, sondern als Material zu betrachten, ist eine profounde kulturelle Errungenschaft. Während wir im Westen oft nach standardisierten Lösungen suchen, feiert Jugaad den individuellen Geist, der sich nicht unterkriegen lässt. Der kurze Stopp wird zu einer nachhaltigen Reflexion über unseren eigenen Umgang mit Ressourcen und Regulierung. Die Erinnerung an diesen tuckernden Geist von Sikandar begleitet mich noch lange, ein Symbol für den unerschütterlichen Erfindungsreichtum des Menschen.

-      bruder george

Indien 2: Die geniale Kunst des Improvisierens